Stefanie Nathow hätte ich länger zuhören können, denn was sie in rund 90 Minuten alles zur Biographie der Neuen Synagoge und ihrer Menschen, zur Berliner und deutsch-jüdischen Geschichte zu berichten wusste, fanden wir Lions vom Pariser Platz schon bemerkenswert gut...
In die Ausstellung in der Neuen Synagoge zu gelangen, setzte das erfolgreiche Passieren der akribischen Eingangskontrolle voraus; wachsam sei die Stadt Berlin hier immer schon gewesen, aber seit der Zentralrat der Juden in Deutschland 1999 in die Nachbarschaft gezogen sei, habe man die Sicherheitsmaßnahmen nochmals deutlich verstärkt.
Es ist eine Dauerausstellung im Centrum Judaicum, das von der weithin sichtbaren, vergoldeten Kuppel gekrönt wird, die da eigentlich nicht hätte sein sollen, denn im Zuge der Restauration des Gebäudes habe man eigentlich nur Aufarbeiten jedoch nichts Zerstörtes wiederaufbauen wollen. An den Kapitellen der Säulen in der Halle könne man das sehen, doch bei der Kuppel sei man sich einig gewesen, eine Ausnahme zu machen.
Und so gehen wir in's Freie auf den großen Platz hinter dem Haus, auf dem die große Neue Synagoge mit Platz für wohl 3.000 Gläubige stand; die Männer im Parterre, die Frauen von ihnen getrennt auf dem Rang. Wirklich nach Osten ausgerichtet sei sie nicht gewesen; das hätten die baulichen Gegebenheiten in der Straßenflucht nicht hergegeben, doch die wohl schon damals leicht reformgeneigten Großstädter habe das nicht wirklich gestört.
Das recht große Haupthaus der Synagoge sei erst 1943 zerstört und dann ?1958 abgerissen worden. 1988, als Honecker zu seiner ersten USA Reise aufbrach, um von den USA als DDR völkerrechtlich anerkannt zu werden, habe man dann wegen der vielen emigrierten Juden in den USA mit der Restaurierung der Neuen Synagoge begonnen, ihr jedoch nichts Neues hinzugefügt. Dabei sei man dann in den folgenden Jahren geblieben; nur bei der Kuppel habe man, wie schon erwähnt, eine Ausnahme gemacht und sie neu aufgebaut.
Die linker Hand neu entstandene Turn- und Schwimmhalle des benachbarten jüdischen Gymnasiums, dessen Schüler keineswegs alle jüdischen Glaubens seien, könnte da schon eher Gesprächsstoff liefern und es solle auch jüdische Familien geben, die ihre Kinder gerade wegen der konsequent hohen Sicherheitskontrollen lieber auf anderen Gymnasien ‚normal‘ aufwachsen ließen.
In Deutschland seien um 1933 weniger als 1% der Bevölkerung Juden nach orthodoxer Definition, also von der Mutter abstammend, gewesen, etwa 600.000 also. Nach deutscher Definition sei vom Vater abstammend gezählt worden; der Unterschied sei aber klein gewesen, zwischen 3 bis 4.000 Menschen.
Ab ?1935 hätten alle jüdischen Gemeinden ihre Unterlagen, Kirchenbücher, Stammbücher nach Berlin in die Neue Synagoge gebracht. Die Gestapo sei dann in den Verwaltungsbereich der Gemeinde eingezogen, um so Zugriff auf alle Akten, Stamm- und Kirchenbücher der deutschen Juden zu bekommen.
Zur Reichsprogromnacht hätten Polizisten des benachbarten Reviers die braunen Plünderer davon abgehalten, die Synagoge anzuzünden.
Ein Standesamt gebe es im heutigen Israel nicht. Heiraten könne man nur vor einem Rabbiner. Die erste Rabbinerin habe es nicht in den 1980ern in den USA, sondern schon 1935 in Berlin gegeben; das habe man aber erst in den 90ern herausgefunden. Sie habe allerdings nicht alle kirchlichen Dinge erledigen dürfen; einige seien den Männern vorbehalten geblieben.
Eine Kippa müssen in einer Synagoge nur Männer tragen; ein Basecap sei auch erlaubt; eine Kapuze aber nicht, da sie zur Bekleidung gehöre.
Ein Shabbat gehe immer von Sonnenuntergang am Freitag bis Sonnenuntergang am Samstag.
Zur Aufnahme in die Gemeinde mit 13 müsse man, auch ohne Hebräisch zu können, auf Hebräisch einen Vers aus einer Thorarolle lesen können. Den gebe es inzwischen zeitgemäß, wie in den Gesangbüchern, auf deren linker Seite auf Deutsch und darunter in lateinischer Schrift auch auf Hebräisch.
Ursprünglich spreche der Rabbi oder singe der Kantor aus der Mitte der Gemeinde; man habe sich in dieser Synagoge dann aber an den vorn stehenden Altären der evangelischen und katholischen Gemeinden orientiert und auch eine Orgel eingebaut, wenn auch versteckt. Üblicherweise werde nur gesungen – ohne Orgel.
Torarollen mit den fünf Büchern Moses würden mit Federkiel und Tinte ohne Metallzusätze und ohne zu radieren oder zu verbessern auf reinen Tierhäuten, die dann aneinandergenäht werden, von einem im Judentum sehr angesehen und gut ausgebildeten Sofer oder einer Soferet STaM quasi dem Original entsprechend ohne eigene Schnörkel in genau vorgegebener Art geschrieben.
Sofer ist ein Begriff aus dem Judentum. Zur Zeit des ersten Tempels war dies die Bezeichnung für einen Schreiber. Zur Zeit des zweiten Tempels war es die Bezeichnung für einen jüdischen Schriftgelehrten. Möglicherweise gab es damals auch Schreiberinnen/weibliche Schriftgelehrte, vgl. Esr 2,55 und Neh 7,57. Wikipedia
Vom Sofer geschriebene Texte, die mechanisch oder durch Abnutzung oder hohes Alter beschädigt und somit unbrauchbar geworden seien, würden nicht auf übliche Weise entsorgt, sondern in einer Geniza aufbewahrt oder auf einem jüdischen Friedhof bestattet.
Nicht nur hier, sondern auch in der orthodoxen jüdischen Gemeinde in der Joachimstaler Str. könne man gern an einer Shabbat Feier teilnehmen; einen Tag zuvor anzurufen sei allerdings immer hilfreich. Und drei bis vier Stunden solle man schon einplanen, doch man könne ruhig mal rausgehen und wieder reinkommen und meist gebe es dann danach auch etwas zu essen.
Die Vielfalt jüdischen Lebens in Berlin entdecken unter https://lchaim.berlin
Text: Th. Schaath
Fotos: keine